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Ujkan Ahmetaj und Vera

25.11.2025 #Sepsis Storys

«Wenn nur jemand durch unsere Geschichte gewarnt wird, ist mein Ziel erreicht»

Als die achtjährige Vera* plötzlich hohes Fieber bekam, dachten ihre Eltern an eine Grippe. Wenige Stunden später kämpfte das Mädchen auf der Intensivstation um ihr Leben. Eine bakterielle Infektion führte zu einer Sepsis. Vater Ujkan Ahmetaj erzählt, wie er diese Zeit erlebt hat.

Porträt von Ujkan Ahmetaj und seiner Tochter, die eine Sepsis überlebt hat

Wir treffen Ujkan Ahmetaj im Kinderspital Zürich nach einer Nachsorge-Untersuchung seiner Tochter. Es ist der Ort, an dem Vera vor einigen Monaten dem Tod entkam. Ein Ort, an dem sich alles überlagert: Erschöpfung, Trauer, Erinnerungen und auch Dankbarkeit.

Es war Anfang Februar 2025, als die Ereignisse begannen. Die achtjährige Vera bekam am frühen Morgen Fieber, und ihre Mutter machte, was sie immer taten: Fieberzäpfchen, Füsse kühlen, abwarten. «Nach einer Stunde war es schon wieder besser», erinnert sich Ujkan Ahmetaj. Beim Kinderarzt wurde eine Grippe vermutet, was zunächst beruhigend klang.

Doch später am Tag verschlechterte sich Veras Zustand plötzlich deutlich. «Sie konnte nicht mehr stehen und erbrach. Ich war an diesem Tag beruflich in Bern. Als ich endlich zu Hause ankam, konnte sie nicht einmal mehr den Kopf heben.» Auf der Fahrt ins Basler Universitäts-Kinderspital sprach er sie immer wieder an. «Ich bat sie, mir etwas zu sagen, aber irgendwann kam keine Antwort mehr.»

Im Spital stellten die Ärztinnen und Ärzte die Diagnose Sepsis, ausgelöst durch eine bakterielle Infektion mit Gruppe-A-Streptokokken. Vera erhielt einen Beatmungsschlauch und Infusionen, doch ihr Kreislauf brach weiter zusammen. «Am nächsten Morgen sagten sie uns, sie könnten nichts mehr für sie tun», erzählt der Vater leise.

 

Hoffen und Bangen

Für Vera gab es noch eine letzte Chance: die Herz-Lungen-Maschine. Diese Therapie wird nur an wenigen Spital-Zentren mit entsprechenden Fallzahlen angeboten. Die Achtjährige musste deshalb notfallmässig nach Zürich verlegt werden. «Ihre Hände und Füsse waren schon fast schwarz, der Körper eiskalt und stark geschwollen», erinnert sich der Vater. Als Vera an die Maschine angeschlossen wurde, erkannte Ujkan Ahmetaj seine Tochter kaum wieder. «Nur der geflochtene Zopf, den eine Pflegerin ihr in Basel gemacht hatte, erinnerte an sie. In den Nächten hielt ich diesen Zopf in der Hand. Das war das Einzige, was mir blieb.»

Nach einer Woche begann Veras Herz wieder selbst zu schlagen. Nach sieben Wochen auf der Intensivstation wurde sie in die Rehabilitationsklinik verlegt. Sie musste vieles neu lernen: sitzen, gehen, sprechen. Glücklicherweise war keine Amputation nötig.

Seither gehören Nachsorge-Untersuchungen zum Alltag. Vera hat vieles wieder gelernt, doch ihr Leben und das ihrer Familie haben sich verändert. «Solche Erfahrungen prägen einen für immer», sagt Ujkan Ahmetaj.

Was ist Sepsis?

Sepsis ist ein lebensbedrohlicher Notfall, der entsteht, wenn die körpereigene Abwehrreaktion auf eine Infektion das eigene Gewebe und die Organe schädigt. Ohne frühzeitige Erkennung und Behandlung kann sie rasch fortschreiten, zu Organversagen und septischem Schock führen und tödlich enden. Weltweit zählt Sepsis zu den häufigsten Ursachen vermeidbarer Sterblichkeit und Morbidität.

Die Angst bleibt

Seit etwa zwei Monaten ist Vera wieder zu Hause und besucht die Schule. Sie hinkt leicht und hat noch Probleme mit der rechten Hand. «Aber sonst ist sie wieder das fröhliche Kind, das sie vorher war», sagt der Vater. Losgelassen hat ihn die Erfahrung jedoch nicht. «Ich lege oft mitten in der Nacht die Hand auf ihre Brust und fühle ihren Herzschlag. Dann sage ich mir, jetzt gerade ist alles gut.»

Heute, einige Monate später, fällt es ihm noch immer schwer, das Erlebte zu begreifen. Doch neben der Erschöpfung überwiegt die Dankbarkeit. «Ich kenne nicht alle Namen der vielen Menschen, die sich Tag und Nacht um Vera gekümmert haben», sagt er. «Aber ihre Gesichter werde ich nie vergessen.»

Vor Veras Erkrankung hatte Ujkan Ahmetaj nie von Sepsis gehört, sonst hätte er schneller reagiert. «Wenn nur jemand durch unsere Geschichte gewarnt wird und eine Stunde früher ins Spital fährt, habe ich mein Ziel erreicht.»

*Name geändert
Text: Andrina Sarott
Foto: Pino Covino / Basler Zeitung (BAZ)

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